Der Abschied, der nicht kam: Warum Chrome an Drittanbieter-Cookies festhält
Abschiede sind schmerzhaft und ziehen sich oft in die Länge. So war es auch mit Googles geplanter Abschaffung von Drittanbieter-Cookies, den Grundstein für Cross-Site Tracking und zielgerichtete Werbung. Nachdem Google im Januar 2020 zunächst versprochen hatte, Cookies von Drittanbietern oder Tracking-Cookies „innerhalb von zwei Jahren“ abzuschaffen, wurden die Fristen immer wieder verschoben.
Wir sagen „so war es“, denn Google hat seine Meinung geändert. Anstatt endgültig auf Drittanbieter-Cookies zu verzichten, plant das Unternehmen nun, sie möglicherweise auf unbestimmte Zeit beizubehalten.
In einem Blogbeitrag mit dem unscheinbaren Titel "A New Path for Privacy Sandbox on the Web" („Ein neuer Weg für die Privacy Sandbox im Web“) ließ der Vizepräsident von Google, Anthony Chavez, leise eine Bombe platzen: Er kündigte an, dass Google zwar weiterhin an der Implementierung der Privacy Sandbox-APIs arbeiten werde – ursprünglich als private Alternative zu Drittanbieter-Cookies gedacht –, die Tracking-Cookies jedoch nicht abschaffen werde.
„Anstatt Drittanbieter-Cookies zu entfernen, werden wir eine neue Funktion in Chrome einführen, die es den Nutzer:innen ermöglicht, informierte Entscheidungen für ihr gesamtes Webbrowsing zu treffen und diese jederzeit zu ändern.“
Diese Ankündigung, die tief in dem Beitrag versteckt war, kam wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Derzeit hat Chrome die Cookies von Drittanbietern bereits standardmäßig für 1% der Nutzer:innen der stabilen Chrome-Version und für 20% der Nutzer:innen von Canary, Dev und Beta eingeschränkt.
Informierte Entscheidung
Anstatt Drittanbieter-Cookies einfach zu entfernen, möchte Google mit Chrome eine „neue Erfahrung“ schaffen, die es den Nutzer:innen ermöglicht, „informierte Entscheidungen zu treffen, die für ihr gesamtes Web-Browsing gelten“. Wie genau dieses Konzept umgesetzt werden soll, ließ Chavez jedoch offen. Da uns die Details fehlen, können wir nur spekulieren.
Eine „informierte Entscheidung“ klingt gut, vorausgesetzt, sie wird richtig umgesetzt. Im besten Fall sollten die Nutzer:innen die Kontrolle darüber haben, welche Daten sie aus welchen Gründen auch immer preisgeben möchten und welche nicht. Der Begriff „informiert“ bedeutet hier, dass die Nutzer:innen über alle notwendigen Informationen verfügen, um diese Entscheidungen treffen zu können. Sie sollten genau wissen, welche Daten gesammelt werden, wie sie verwendet werden, wer darauf Zugriff hat und welche Auswirkungen dies auf ihre Privatsphäre haben kann. Diese Transparenz stellt sicher, dass Nutzer:innen nicht unwissentlich ihre Privatsphäre opfern und bewusste Entscheidungen über ihre Daten treffen können.
Wenn wir uns ansehen, was Drittanbieter-Cookies tatsächlich tun, sollte die Entscheidung eigentlich klar sein. Drittanbieter-Cookies dienen im Wesentlichen dazu, Werbetreibenden und Datenmaklern zu helfen, Nutzer:innen im Internet auszuspionieren. Im Gegensatz zu Erstanbieter-Cookies, die nützliche standortspezifische Daten (wie Anmeldeinformationen) speichern, verfolgen Drittanbieter-Cookies die Nutzer:innen über verschiedene Websites hinweg. Dadurch entsteht ein detailliertes Profil über Surfgewohnheiten, Interessen und Online-Verhalten.
Werbetreibende nutzen diese Daten dann, um gezielte Werbung anzuzeigen – oft für Produkte, die Nutzer:innen zufällig gesehen haben, aber nicht unbedingt gekauft haben.
Die Frage ist: Wer würde freiwillig Drittanbieter-Cookies zulassen, wenn allen klar ist, wofür sie verwendet werden? Ein praktisches Beispiel ist die App Tracking Transparency (ATT) von Apple. Als den Nutzer:innen die Möglichkeit gegeben wurde, sich aktiv gegen App-Tracking zu entscheiden, lehnten die meisten ab. Spiele-Apps, die für ihre zielgerichtete Werbung bekannt sind, waren erfolgreicher darin, Nutzer:innen von einer Zustimmung zu überzeugen, aber selbst dort lag die durchschnittliche Zustimmungsrate für das Tracking im 2. Quartal 2023 bei nur 37%.
Sollte Google dem Beispiel von Apple folgen, dürfte die Akzeptanz von Drittanbieter-Cookies ebenfalls gering ausfallen. Während die Details zur „informierten Entscheidung“ in Chrome unklar sind, könnten Nutzer:innen, die Drittanbieter-Cookies ablehnen, auf Googles Ersatzsystem – die Protected Audiences API innerhalb der Privacy Sandbox Initiative – verwiesen werden. Wie bereits diskutiert, bietet die Privacy Sandbox einen privateren Ansatz als Drittanbieter-Cookies, allerdings nur isoliert betrachtet. Im Kontext wird das Tracking für kleinere Unternehmen schwieriger, jedoch nicht unbedingt für Giganten wie Meta oder Google selbst, die von einem riesigen Portfolio miteinander verbundener Dienste profitieren.
Unsere Zweifel gehen über das Konzept selbst hinaus. Die Tatsache, dass Google in der Vergangenheit verwirrende Schnittstellen oder „dunkle Muster“ verwendet hat, wirft Fragen zur Echtheit dieser „informierten Entscheidung“ auf. Zum Beispiel hat Chrome früher eine Kombination von Einstellungen genutzt, um den Standort der Nutzer:innen zu verfolgen. Selbst wenn Nutzer:innen den Standortverlauf deaktiviert hatten, konnte Google sie über die Standardeinstellung „Web- und App-Aktivitäten“ verfolgen. Diese Funktion zur Erfassung von Standortdaten wurde von Google frühestens Mitte 2018 offengelegt.
Auch Werbetreibende sind unzufrieden
Nicht nur Datenschützer, sondern auch Werbetreibende sind über Googles Ersatz von Drittanbieter-Cookies verärgert – und zwar andere Werbetreibende, nicht Google selbst. Criteo berichtet beispielsweise, dass Tests und Rückmeldungen von Publishern zeigen, dass die aktuelle Form der Privacy Sandbox das Ziel von Google, den Umsatzverlust der Publisher auf 5 Prozent zu begrenzen, verfehlt. Und das ist noch untertrieben, denn laut Criteos eigener Analyse würde ein sofortiger Verzicht auf Drittanbieter-Cookies und die Veröffentlichung der Privacy Sandbox in ihrer jetzigen Form dazu führen, dass „die Einnahmen der Publisher im Durchschnitt um 60 Prozent sinken würden – insbesondere für diejenigen, die die Privacy Sandbox vollständig integriert haben“.
Es überrascht daher nicht, dass die Adoptionsrate dieser neuen Technologie laut Criteo mit weniger als 55 Prozent recht niedrig bleibt. Criteo ist dabei keineswegs allein – viele andere Werbetreibende berichten von ähnlichen enttäuschenden Ergebnissen.
„Wir sehen immer noch einen Umsatzrückgang von 30 Prozent in der Welt von Chrome ohne Cookies, und das ist eine erhebliche Summe, die man verlieren kann,“ wurde kürzlich eine Führungskraft des Ad-Tech-Unternehmens Raptive von Marketing Brew zitiert.
Was bedeutet das für den Datenschutz?
Die Entscheidung von Google, Cookies von Drittanbietern nicht abzuschaffen, ist zweifellos ein schwerer Schlag für den Datenschutz.
Fast alle Browser blockieren diese Cookies standardmäßig, und einige, wie Microsoft Edge, arbeiten ebenfalls daran, sie schrittweise abzubauen (obwohl Microsoft nach Googles Ankündigung vielleicht noch einmal umdenken könnte). Das bedeutet, dass Chrome am Ende als Ausreißer dastehen wird. Gleichzeitig bleibt Chrome der beliebteste Browser mit einem beeindruckenden Marktanteil von 65%. Das heißt, die Mehrheit der Internetnutzer:innen wird negativ von dieser Entscheidung betroffen sein.
Wie man es auch dreht und wendet, Cookies von Drittanbietern sind grundsätzlich ein nicht-privater Tracking-Mechanismus. Googles stillschweigendes Eingeständnis, dass der Versuch, sie zu ersetzen, gescheitert ist, zeigt, dass es derzeit kaum möglich ist, sowohl die Interessen der Nutzer:innen als auch die der Werbetreibenden zu wahren — zumindest nicht so, wie Google es sich vorgestellt hat. Letztlich hat Google versucht, beiden Seiten gerecht zu werden, konnte aber die Erwartungen beider Seiten nicht erfüllen.
Sowohl die Protected Audiences API als auch Cookies von Drittanbietern werden in AdGuard- Browsererweiterungen und Apps blockiert. Momentan liegt es in der Verantwortung der Nutzer:innen, sich vor Eingriffen in ihre Privatsphäre zu schützen. Werbeblocker sind nur eines von vielen verfügbaren Tools, die ihnen dabei helfen. Sich beim Schutz der Privatsphäre auf Google zu verlassen, war schon immer eine fragwürdige Idee – und die jüngsten Entwicklungen zeigen, dass Google, wenn überhaupt, in die entgegengesetzte Richtung tendiert.